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Historische Europacup-Reise

Der SK Puntigamer Sturm Graz erlebte im Herbst 2022 in der Gruppenphase der UEFA Europa League ein Wechselbad der Gefühle. Heroische Siege, Europacup-Fights der Spitzenklasse und bittere Niederlagen – in diesem Herbst war alles dabei.

Der Anfang einer denkwürdigen Europacup-Reise – der 1:0 Heimerfolg gegen den FC Midtjylland. © Sebastian Atzler

Der perfekte Auftakt

Eine lange, eine sehr lange internationale Durststrecke mussten die Schwarz-Weißen im vergangenen Jahrzehnt durchlaufen, bis endlich in der Vorsaison eine internationale Gruppenphase erreicht werden konnte. Zwei Punkte standen schlussendlich auf der Habenseite. Für die Spielzeit 2022/23 nahmen sich die Grazer viel vor und – vorneweg – das wurde auch geschafft. Dass die Reise nicht mit dem Überwintern belohnt wurde, nahm sogar historische Ausmaße an. Aber alles der Reihe nach. Wir schreiben den 8. September 2022, Flutlicht, 21:00 Uhr, Liebenauer Stadion. Der SK Sturm betrat begleitet durch tosenden Beifall der knapp 11.000 Zuschauer:innen das Grün der Merkur Arena. Die Schwarz-Weißen legten begnadet, lauffreudig und engagiert los und kamen bereits in der Anfangsphase zum Torerfolg. Amadou Dante (der kürzlich seinen Vertrag bis 2026 verlängerte) spielte eine millimetergenaue Hereingabe auf den im Fünfmeterraum lauernden Emegha und dieser verwertete zur frühen Führung. In weiterer Folge spielten die Schwarz-Weißen stark auf und ließen Chance um Chance verstreichen, einen Elfmeter von Tomi Horvat inklusive. Selbst ein Platzverweis für Kapitän Stefan Hierländer bremste die starken Steirer nicht. Der erste Sieg in einer europäischen Gruppenphase seit knapp elf Jahren war Gewissheit. Erleichterung machte sich im Lager der Grazer breit, man war endgültig in Europa angekommen.

Das zweite Gruppenspiel sollte ein, in negativer Hinsicht, historisches für Sturm werden. An jenem Donnerstag im September setzte es die höchste Niederlage auf internationalem Parkett, die der SK Sturm jemals einstecken musste. Individuelle Fehler, unglückliche Momente, ein katastrophaler Spielverlauf und die Kaltschnäuzigkeit von Feyenoord Rotterdam sollten am Ende in einer 6:0 Niederlage gipfeln. Nach dem zweiten Spieltag hielten alle Teams der Gruppe bei drei Punkten. Punktegleichheit, ein Substantiv, dessen Bedeutung den Grazern im Verlauf der Gruppenphase noch sehr weh tun sollte.

William Bøving war mit seinem Doppelpack am 4. Spieltag beim 2:2 gegen Lazio Rom in der italienischen Hauptstadt der Mann des Spiels. © Sebastian Atzler

Doppelter Gladiatorenkampf endete unentschieden

Sturm Graz, Lazio Rom, Merkur Arena, Stadio Olimpico – Europa League! Anfang/Mitte Oktober kam es zu den beiden Aufeinandertreffen mit dem italienischen Topteam Lazio Rom. Die Hauptstädter belegten in der abgelaufenen Saison in der Liga den fünften Rang, was gleichbedeutend mit der fixen Teilnahme an der Gruppenphase der Europa League war. Das Team von Trainer Maurizio Sarri ist mit Topstars wie Sergej Milinkovic-Savic, Luis Alberto oder Ciro Immobile gespickt, was Sturm allerdings nicht daran hinderte, ihr Spiel aufzuziehen. Am dritten Spieltag gastierten die Biancocelesti in Graz und hielten über 95 Minuten hinweg ein 0:0, wobei hielten hier hervorzuheben ist, war das Team von Cheftrainer Christian Ilzer doch über die gesamte Spieldauer hinweg das bessere Team. Die starke, wenn auch unbelohnte Leistung der Steirer wurde mit zahlreichen Sprechchören der Fans gustiert. Trotz des Unentschiedens war man im Herzen der Sieger dieser Partie. Eine Woche später ging es zum Auswärtshighlight in die ewige Stadt nach Rom. Rund 1.500 Sturmfans begleiteten ihr Team auf den verschiedensten Wegen in die italienische Hauptstadt. Bekanntlich führen ja alle Wege nach Rom. Bei herrlichem Fußballwetter legten die Hausherren stark los und kamen zu der ein oder anderen guten Chance, doch Siebenhandl, Wüthrich, Affengruber und Co. verteidigten vieles, in der 45. Minute sollte es jedoch einen Elfmeter für Lazio geben. Ciro Immobile ließ sich nicht zweimal Bitten und versenkte zum 1:0. Nur zwei Minuten später überschlugen sich die Ereignisse: Gelb-Rot für Manuel Lazzari, Rudelbildung, Rot für Sturm Co-Trainer Uwe Hölzl. Mit sehr erhitzen Gemütern ging es zur Pause in die römischen Katakomben. Nach Wiederanpfiff schalteten die numerisch überlegenen Grazer zwei Gänge nach oben und drängten die Hausherren tief in deren Hälfte. William Bøving erzielte den verdienten Ausgleich, auf dem sich Sturm jedoch nicht ausruhte, man wollte den Sieg. Doch aus einer der wenigen hellblauen Vorstöße resultierte die schmeichelhafte 2:1 Führung, die William Bøving jedoch erneut egalisieren sollte. Schlussendlich stand nach einem tollen Auftritt ein 2:2 Unentschieden an der Anzeigetafel des Stadio Olimpicos. In zwei Spielen ungeschlagen gegen Lazio Rom und dabei noch näher am Sieg dran als die Laziali – kann man mal so machen.

Ein unvergesslicher Moment: Otar Kiteishvili schießt den SK Sturm in der 93. Minute zum verdienten 1:0 Heimerfolg gegen Feyenoord Rotterdam. © Sebastian Atzler

Moment für die Ewigkeit

Am vorletzten Spieltag der Gruppenphase wurde in der heimischen Merkur Arena ein Moment für die schwarz-weißen (zumindest seelischen) Geschichtsbücher geschrieben. Mit Feyenoord hatten die Grazer noch eine Rechnung offen, die höchste der Sturm-Historie um genau zu sein. Die Grazer agierten von Beginn weg aggressiv, spielfreudig und mit höchster Intensität, was den Gästen aus den Niederlanden überhaupt nicht schmeckte. Gute Chancen wurden von den Steirern ausgelassen, Stangenschüsse inklusive. Hinzu kamen die ein oder andere Weltklasse-Verteidigungsaktionen von Wüthrich und Co. Die Zuschauer:innen im Stadion peitschten ihr Team unermüdlich nach vorne, der erlösende Treffer wollte jedoch nicht fallen. Doch dann brach die 93. Spielminute an: Freistoß Horvat, Verlängerung Emegha und dann folgte der mitunter lauteste Moment aller Zeiten in Liebenau, der alle Schlafenden in den umliegenden Wohnhäuser aufwecken (22:51 Uhr) sollte. Otar Kiteishvili nahm den Ball perfekt mit der Brust an und versenkte ihn in Weltklasse-Manier im rechten unteren Eck – es gab kein Halten mehr. Trainer, Betreuer und Spieler lagen sich in den Armen, gleiches galt für die Tribüne, beim Jubel brachen alle Dämme. Freunde, Familien sowie bis dato Unbekannte lagen sich gemeinsam in den Armen, Freudentränen inklusive. Ein Moment für die seelische Ewigkeit!

Das verpasste Überwintern im Europacup schmerzte allen Beteiligten sehr. © Sebastian Atzler

Historisches Aus in der Gruppenphase

Sturm reiste Anfang November zum alles entscheidenden Gruppenspiel nach Herning, Dänemark. In der 50.000 Seelen Stadt ist der FC Midtjylland beheimatet. Die Ausgangslage vor dem letzten Gruppenspiel war klar: Mit einem Punktgewinn überwintern die Grazer in der Europa League. Das Team von Cheftrainer Christian Ilzer nahm von Anfang an das Heft in die Hand und kam beispielsweise durch Otar Kiteishvili zu einer guten Torchance. Diese blieb jedoch ungenutzt, was sich in weiterer Folge rächen sollte. Aus einem Fehler in der Hintermannschaft der Schwarz-Weißen heraus resultierte der Führungstreffer für die Dänen, so ging es auch in die Pause. Nach Wiederanpfiff versuchten die Steirer alles, jedoch wollte sich der Defensivverbund der Skandinavier nicht überwinden lassen. Vielversprechende Torchancen blieben ungenutzt und nach dem zweiten Verlusttreffer war die Messe fast gelesen. Im Finish bäumten sich die Grazer noch einmal auf, jedoch half alles nichts. Man verlor beim FC Midtjylland mit 2:0. Auch das Parallelspiel zwischen Feyenoord Rotterdam und Lazio Rom endete für die Steirer denkbar ungünstig, sodass man punktgleich (alle Teams hatten acht Punkte am Konto) als Gruppenletzter ausschied. Der Schmerz saß tief und wird noch lange in Erinnerung bleiben, was jedoch für immer bestehen bleiben wird: Man eroberte in einer hochkarätigen Europa League-Gruppe starke acht Punkte, die Sturm endgültig wieder zurück auf die europäische Fußball-Landkarte brachten!

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