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Gerhard Roth ist nicht mehr

Am 24. Juni 2022 hätte er seinen Achtziger gefeiert. Am Abend des 8. Februar hat Gerhard Roth, einer der bekanntesten Autoren des deutschen Sprachraums der Gegenwart, seine Feder, die er bis zuletzt als „ein vom Schreiben Besessener“ unermüdlich in Händen hielt, für immer abgelegt.

Der Sturmbotschafter

Sein unglaubliches Wissen, sein Intellekt und sein so liebenswertes Wesen sind nun in seinen Werken und in der Erinnerung der Menschen, die in kannten, eingebettet. Bis zum vergangenen Herbst war Gerhard Roth, seit 2017 der offizielle Sturmbotschafter, gemeinsam mit seiner Frau Senta – soweit es Corona und die eigene Gesundheit zuließ – bei allen Sturmspielen in Liebenau dabei. Sein analytisches, messerscharfes Auge zerlegte jedes Spiel bis ins Detail und noch tagelang beschäftigte er sich mit dem Match und seinem Verlauf, diskutierte intensiv mit Sturm-Präsident Christian Jauk über Positiva und Negativa. Und er konnte bis zuletzt wie in Kinder- und Jugendzeiten über Sturmsiege begeistert jubeln.

Die Sturmbotschafter Gerhard Roth und Gernot Kulis.
Die Sturmbotschafter Gerhard Roth und Gernot Kulis.

Gruabn als Heimat

Roth wurde am 24. Juni 1942 in Graz geboren und ist seit dem ersten Besuch eines Sturm-Spieles mit den Schwarzweißen eng verbunden: Als Achtjähriger besuchte Roth am 3. September 1950 – im zweiten Staatsligajahr – das Spiel Sturm Graz gegen Wiener Neustadt, das die Grazer mit 9:0 Toren für sich entscheiden konnten, gemeinsam mit seinem Vater, einem Arzt und seinem Großvater, einem Glasbläser. Der Kampfgeist der Schwarzweißen und das fanatische, volkstümliche und erdige Publikum begeisterten ihn sofort. Der Stehplatz auf der Nordseite der gedeckten Gruabn-Tribüne wurde ihm zuerst mit dem Vater, dann mit Freunden zur Heimat. Roth war dann auch kurz im Sturm-Nachwuchs aktiv tätig, später beim Bezirksnachbarn Grazer Sportklub.

Literarische Zuneigung

Immer wieder floss die Zuneigung zu Sturm auch in seine literarische Arbeit ein, so widmete er etwa im Roman „Das Alphabet der Zeit“ Sturm Graz ein ganzes Kapitel. Gerhard Roth verfasste im Sturm-Jubiläumsjahr 2009 eine vielbeachtete Laudatio über den Jahrhunderttrainer Ivica Osim, die er bei der Feier im Jänner 2009 in der List-Halle vortrug und steuerte wertvolle Beiträge für das Jubiläumsbuch „Wir sind Sturm“ bei. Über Interviews oder Texte war er auch immer wieder im Vereinsmagazin „SturmEcho“ präsent. Ebendort veröffentlichte er exklusiv eine langes Interview aus Anlass seines ganz persönlichen Jubiläums „70 Jahre Sturm Graz-Fan“.
Möglich gemacht hat das die Freundschaft mit „SturmEcho“-Chefredakteur Herbert Troger und dessen Stellvertreter Martin Behr, der Roth auch bei dessen Fotobüchern und Fotoausstellungen hilfreich zur Seite stehen konnte. In der Ausstellung „Jahrhundertsturm“ im Grazer Künstlerhaus (2009) war Roth mit einer Hörstation und einem handgeschriebenen Manuskript präsent.

Enge Freunde: Gerhard Roth und Ivan Osim.
Gerhard Roth kam gerne mit Familie in die Arena.
Präsident Christian Jauk, hier mit dem ehemaligen Teamchef Marcel Koller, trauert um Sturm-Ikone Gerhard Roth.

Teletext als erster “Liveticker“

Die Spiele von Sturm Graz verfolgte der Künstler und passionierte Fotograf entweder live in der UPC-Arena oder vor dem TV-Gerät. Bevor er ein „Sky“-Abo abgeschlossen hatte, schaltete er bei Auswärtsspielen den ORF-Teletext ein oder beobachtete mit Argusaugen einen Live-Ticker. Die Sympathien für Sturm sind in seiner Familie weit verbreitet: Unter anderem drücken Gattin Senta, Sohn Thomas Roth – ein bekannter Film- und Fernsehregisseur – oder seine Enkelkinder Simon und Elias den Schwarzweißen bei Heim- und Auswärtsspielen die Daumen.

Mitglied im Forum Stadtpark

Der Träger zahlreicher Auszeichnungen wurde mit Werken wie „Der stille Ozean“, „Landläufiger Tod“ oder „Im tiefen Österreich“ einer breiten Öffentlichkeit bekannt. Zentrale Elemente seiner literarischen Arbeit sind die Romanzyklen „Die Archive des Schweigens“ und „Orkus“ (beide siebenteilig). Zahlreiche Romane, Essays, Theaterstücke und Fotobände entstanden ab 1970. Zuerst Medizinstudent, dann im Institut für Elektronenmikroskopie (Rechenzentrum Graz) als Operator, Organisator und an der Wiege der elektronischen Datenverarbeitung tätig, wurde er 1972 Mitglied des legendären Forum Stadtpark, wo er im Umfeld von Wolfgang Bauer, Peter Handke, H.C, Artmann und Alfred Kolleritsch agierte.

Freund und Sturmfan Günter Brus

Der dreifache Vater fand 1976 in seiner Senta eine Wegbegleiterin, die ihn bis zur letzten Stunde als Ehefrau und künstlerische Begleiterin aber auch bei den Sturmspielen zur Seite stand. Gemeinsam mit ihr siedelte er sich als freier Schriftsteller in Obergreith, Kopreinigg, in der Südsteiermark an und engagierte sich für den Bau des heute anerkannten Kunst- und Kulturzentrums „Greith-Haus“. Der Erzähler, Dramatiker und Essayist lebte abwechselnd in der Südsteiermark und in Wien in der Nähe des Musikvereins. Die hügelige, noch verträumte Südsteiermark, Wien mit all den Facetten der Metropole und seine vielen Reisen boten ihm den Stoff für seine Werke. Sein Freund, der Künstler und ebenfalls Sturmfan Günter Brus, illustrierte einige seiner Bücher.

Gerhard Roth mit Sohn Thomas.
Gerhard Roth mit Sohn Thomas.

Viele große Auszeichnungen

Roth war aber auch Drehbuchautor: „Der stille Ozean“ – eine Beschreibung der verschlafenen Südsteiermark der 1960er Jahre – wurde von Xaver Schwarzenegger verfilmt, der zweite Band der „Archive des Schweigens“ wurde mit dem Berliner Silbernen Bären ausgezeichnet. Michael Schottenberg verfilmte den „Landläufigen Tod“, Sohn Thomas Roth unter anderem den Kriminalroman „Der See“ aus dem Zyklus „Orkus“. Seine zahlreichen Fotobücher – das letzte erschien 2020 über seine Lieblingsstadt Venedig – zeugen von einer ganz eigenen Art, die Welt zu sehen, die Fotografien dienten oft auch als optische Notizen für seine Romane. An Ehrungen und Auszeichnungen ist Gerhard Roth, unser Sturm-Botschafter, wahrlich reich: angefangen vom Berliner Silbernen Bären über den Romy-Fernsehpreis für das beste Drehbuch, den Bruno-Kreisky-Preis, dem Alfred-Döblin-Preis, dem Großen Goldenen Ehrenzeichen des Landes Steiermark, dem Goldenen Ehrenzeichen für Verdienste um das Land Wien bis zur Torberg-Medaille und dem Großen Österreichischen Staatspreis, über den er sich 2016 so sehr freute.

Unter dem Nussbaum

Bis zuletzt arbeitete Gerhard Roth intensiv an der Fertigstellung eines neuen Romans, an einem neuen Fotoband und an seinem Herzensprojekt, dem Kulturhaus Greith in der Südsteiermark. Dort, wo er viele Jahre den Sommer und zuletzt sein ganzes Leben gemeinsam mit seiner Senta verbrachte, fand er unter einem riesigen Nussbaum oder in der gemütlichen Stub’n seine kreativen Inspirationen.

SMS aus dem Spitalsbett

Sein unerwarteter Tod reißt eine Riesenlücke – in seiner Familie, im Kreis seiner Freundinnen und Freude, Verehrerinnen und Verehrer, in der heimischen und gesamtdeutschen Literatur und auch in unserem SK Sturm, wo er der Botschafter schlechthin, eine Ikone und ein Vereinskenner wie kaum ein anderer war. Gerhard Roth war von Sturm Graz seit seiner Kindheit beseelt, mit viel Leidenschaft, Herzblut und großem fußballerischem Wissen verfolgte er die Geschicke seines Lieblingsvereins bis kurz vor seinem Tode. Noch aus dem Spital schickte Roth eine SMS: „Ich freu‘ mich auf Höjlund, den Höllenhund!“ Mit seiner hünenhaften Gestalt war er eine imposante Erscheinung, an der keiner vorbeikonnte und wollte. Wenn er mit seiner Senta gemeinsam mit Ivica und Asima Osim auf der Tribüne ein Sturmspiel verfolgte, da ging einem das Herz auf.

Präsident Christian Jauk gedenkt:

„Gerhard Roth hat Sturm gelebt. Er hat mir immer vermittelt, dass Sturm mehr ist als ein Fußballverein. Das war die Basis unserer langjährigen Freundschaft. Ich habe ihn sehr verehrt, denn Gerhard war nicht nur ein großer Künstler, er war ein beeindruckender Mensch und ein großer Schwarzer, der mehr als sieben Jahrzehnte über alle Höhen und Tiefen hinweg mit unserem SK Sturm jubelte, zitterte, sich freute und sorgte. Wir sind stolz, dass er einer von uns war. Unser tiefstes Beileid gilt seiner Familie, insbesondere seiner Frau Senta, die ihn in all den Jahren immer zu den Sturmspielen begleitete.“

Gerhard Roth und Bischof Wilhelm Krautwaschl, zwei echte Sturmfans.
Gerhard Roth und Bischof Wilhelm Krautwaschl, zwei echte Sturmfans.

Gerhard, lebe Wohl und spiele nun im Gruabn-Himmel mit deinen einstigen Lieblingen Gigerl, Lobenhofer, Durek, Niederkirchner, Decker, Lamot, Wolf, Kaltenegger und Co. die Spiele deiner Jugend. Wir alle vermissen dich unglaublich, in unseren Köpfen und Herzen hast Du für immer einen Ehrenplatz!

Text: Martin Behr & Herbert Troger

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