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„Euphorie darf nicht zum Risikofaktor werden“

Titel wärmen die schwarz-weiße Seele, aber Bodenhaftung ist ebenso wichtig: Sturm-Präsident Christian Jauk bilanziert seine Amtszeit, spricht über Leidenschaft, Träume, Bauprojekte und wo er Sturm im Jahr 2034 sieht.

Nächtliche Anrufe oder Mails vom „Präsi“ sind keine Seltenheit. Christian Jauk ist rund um die Uhr mit Sturm Graz beschäftigt. Ideen und Pläne, Analysen und Einordnungen sprudeln aus ihm heraus, Gespräche mit ihm können – ausgehend vom Fußball – zu ausufernden Erörterungen über Politik, Wirtschaft, Gesellschaft und Kultur mutieren. Sturm als unstillbare Passion: Der Vorstandsvorsitzende der Schelhammer Capital Bank AG und der Bank Burgenland identifiziert sich wie kaum ein anderer mit den Schwarz-Weißen. Empfängt zwischen Sitzungen im Grazer Bankenhauptquartier andere Aficionados, schreibt im Flug in die Finanzmetropole London die „Vorstandsetage“ für das SturmEcho, nutzt das beruflich notwendige Pendeln nach Wien, um mit Fanvertretern, Sponsoren oder Sturm-Angestellten via Handy zu kommunizieren. Die Kurve ist ihm gleich wichtig wie der VIP-Klub, Basisnähe und Empathie sind zwei Grundpfeiler seiner Präsidentschaft, die am 20. Jänner 2012 begonnen hat – Sturm-Präsident Christian Jauk im großen Interview.

Wie oft denken Sie durchschnittlich am Tag an Sturm Graz? Warum nur am Tag? Ich träume sogar von Sturm, gar nicht so selten.

Sind das Matchszenen, Spielergebnisträume oder schlüpfen Sie gar selbst in ein Sturm-Trikot? Träume haben mit Visionen zu tun. Es geht bei mir darum, den Verein weiter zu entwickeln. Projekte, Sponsoring, Verbesserung der Rahmenbedingungen und vieles mehr. Ich mich selbst im Sturm-Trikot? Auf so eine Idee wäre ich nicht einmal im Traum gekommen (lacht).

Sie sind als Bankdirektor und Spitzenmanager vielbeschäftigt. Da ist viel Rationalität gefragt. Wie unterscheidet es sich, ein Finanzunternehmen und einen Fußballklub zu führen? Die Prinzipien des Erfolges unterscheiden sich nicht. Man braucht überall die richtigen Menschen, ein Konzept, Leadership und den Spirit. Fußball ist kurzfristiger, es gibt starkes öffentliches Interesse, täglichen Druck, von der Politik bis zur Intrige ist das gesamte Spektrum abgedeckt. Ich nehme überall viel mit und kann für beide Seiten davon profitieren. Außerdem, eine Bank funktioniert nicht nur rational.

Wie würden Sie Ihren Führungsstil bezeichnen? Das können andere besser beurteilen. Ich versuche Vorbild zu sein, sonst kann ich von anderen nicht etwas verlangen, was ich nicht selbst vorlebe. Meine Teamorientierung ist ein Grundsatz, aber genauso der Zug auf das Tor.

Mit der kommenden Generalversammlung im März läuft Ihre Präsidentschaft aus, Zeit, um Bilanz zu ziehen. Was war in den vergangenen vier Jahren Ihr emotional schönstes Erlebnis und worauf hätten Sie gerne verzichtet? Jedes Jahr bietet schöne Augenblicke und schenkt Freude, aber von über 12.000 Mitgliedern hätte ich nicht zu träumen gewagt. Titel zu gewinnen ist nicht alles, aber Titel wärmen die schwarz-weiße Seele. Auf einige destruktive Meetings im Grazer Rathaus hätte ich gerne verzichten können.

Rund um die Uhr ist Präsident Christian Jauk für seinen SK Sturm im Einsatz. © Sebastian Atzler.

Wer Christian Jauk kennt, weiß, dass er kein Risiko eingehen würde, um schnellen Erfolg zu erreichen. Nicht geschichtsvergessen alles umkrempelt, weil der Zeitgeist dies einfordert. Solidität ist ihm wichtig, das Wissen um die Herkunft – das Geerdet-Sein. Ratio und Bauchgefühl befinden sich beim 58-jährigen Grazer, der verheiratet ist und vier Kinder hat, im permanenten Austausch und führen zu einem präsidialen Leitsatz: „Glück ist immer, wenn Vorbereitung auf Gelegenheit trifft.“ Während andere in Krisen zetern, bereitet er Maßnahmen für neue Höhenflüge vor. Im Erfolg sorgt er sich um die Bodenhaftung und mahnt zur Demut – was an das Credo von Sturms Jahrhunderttrainer Ivica Osim erinnert.

Sturm Graz hat sich seit 2020 in vielen Bereich enorm weiterentwickelt. Bereitet es Ihnen Sorge, das erreichte Niveau auch in Zukunft halten zu können? Die positive Entwicklung hat viel früher stattgefunden, nur erntet man nicht so schnell, weil es jahrelanger harter Arbeit bedarf, um die Früchte abholen zu können. Wer die herausragende Leistung unseres Vereines an den Rahmenbedingungen misst, die wir in Graz vorfinden, dann liegt diese derzeit weit über unseren Möglichkeiten. Diese Realität gehört stärker ins Bewusstsein. Es darf nicht zu falschen Erwartungen führen, weder im sportlichen Bereich noch bei unseren Megaprojekten wie dem Stadion und dem Trainingszentrum für Jugend und Frauen.

Soll heißen: Die Erfolge mehr genießen und bei den Bauprojekten nicht ungeduldig werden? Meine ersten 22 Jahre als Sturm-Fan gab es nie einen Titel. Einige Traditionsvereine existieren in der ursprünglichen Form heute nicht mehr. Erfolge sind im Fußball nie selbstverständlich, darum betone ich häufig meine Dankbarkeit. Das gilt ebenso für Bauprojekte, die es vorher in der Geschichte unseres Vereines noch nie gab. Euphorie darf nicht zum Risikofaktor werden.

Nach der Auszeit von Günther Kreissl haben Sie sich für Andreas Schicker als Sportdirektor entschieden. Was sprach damals für ihn? Günther hat ihn mir schon viel früher als eine Alternative für eine mögliche Nachfolge empfohlen. Das war strategisch gut überlegt und gab mir Gelegenheit, ihn zu beobachten. Das Risiko von außen jemanden zu holen, ist meist größer und Andis Art, Fußball zu denken und zu leben, beeindruckte mich. Er besitzt hohe soziale Kompetenz.

Gemeinsam mit Trainer Christian Ilzer ist es Schicker gelungen, binnen kürzester Zeit ein Team zu formen, das auch in der Europa League konkurrenzfähig ist. Haben Sie damit gerechnet? Nein, wirklich nicht. Wir hatten einen Dreijahresplan, wo wir mit einem klaren Konzept eine Rückkehr unter die Top 3 in Österreich und eine Gruppenphase in einem Europacup-Bewerb anstrebten. Wir haben alles vom ersten Jahr an erreicht. Dafür bin ich unglaublich dankbar und demütig.

Cupsieg, Vizemeistertitel, Siege in der Europa League: Ist in einem nächsten Schritt der Meistertitel das ganz große Ziel? So eine Phase erleben zu dürfen, ist herausragend, dieses Niveau zu halten, eine riesige Herausforderung. Der Punkteschnitt, den wir in der bisherigen Saison erzielten, hat in vielen Jahren für den Meistertitel gereicht. Unser Team ist äußerst ehrgeizig, träumen gehört zum Fußball dazu, aber wir dürfen dabei nicht die Bodenhaftung verlieren. Der finanzielle Vorsprung von Red Bull auf den Zweiten ist größer als vom Zweiten auf den Tabellenletzten. Vor einigen Monaten präsentierten wir unsere Netto-Transferbilanz der letzten drei Jahre, die im einstelligen Millionenbereich lag, weil wir den Großteil der Erlöse wieder in den Kader reinvestierten. Ich werde häufig mit Fragen konfrontiert, die diese Fakten negieren. Hier gilt es aufzuklären.

In der Konstellation Schicker/Ilzer scheint alles zu passen. Was sagen Sie einem Fan, der sich vor jenem Tag fürchtet, an dem einer der beiden Graz verlassen wird? Dass Sturm Graz demnächst das 115-jährige Jubiläum feiert und schon so vielen Generationen an Menschen Freude bereitet hat, auch in Zeiten, in denen wir weit von Titeln entfernt lagen. Wir hoffen, beide bleiben noch lange. Aber umso erfolgreicher wir sind, umso schwieriger wird es. Das ist die Kehrseite des Erfolges. Das weiß man auch in Salzburg.

Vor nicht allzu langer Zeit musste Sturm Graz coronabedingt Geisterspiele austragen, hatte mit einer Niederlagenserie und frustrierten Fans zu kämpfen. Nach gezielten Umstrukturierungen durch den Vorstand und der Geschäftsführer Thomas Tebbich und Andreas Schicker ist der Klub wieder erfolgreich, die Fans strömen ins Stadion. Sturm hat sich einen Namen gemacht, sowohl in Österreich als Salzburg-Jäger, als auch in Fußball-Europa. Und Christian Jauk konnte im Stadion mehrfach lautstark und vielbeklatscht Rekorde bei den Mitgliederzahlen verkünden.

Sturm Graz hat mittlerweile über 12.000 Mitglieder. Warum diese Euphorie? Die „The winner takes it all“-Mentalität prägt stark den heutigen Zeitgeist. Wir sind so erfolgreich, wie selten in der Vereinsgeschichte. Soziale Medien verbreiten darüber hinaus Euphorie mit einer anderen Geschwindigkeit und Intensität. Grundsätzlich ist die Bereitschaft gestiegen, sich zum Verein zu bekennen. Das haben wir uns schon erarbeitet und macht uns stolz.

Kann Sturm bei der Mitgliederzahl gar Rapid überholen? Wien soll demnächst zwei Millionen Einwohner ausweisen und Graz liegt gerade mal bei 300.000, die ganze Steiermark bei knapp über 1,2 Millionen. Außerdem gibt es in Wien eine ganz andere mediale Unterstützung, egal, was bei Derbys passiert. Als ich begann, hatte Rapid in etwa zehn Mal so viele Mitglieder wie wir, jetzt haben wir dramatisch aufgeholt. Potential gibt es zweifelsohne immer. Wichtiger ist mir aber, die Anzahl auch in schlechteren Zeiten stabil zu halten.

In die Fußballeuphorie haben sich zuletzt auch dunkle Wolken gemengt: Pyrotechnikexzesse und Fanausschreitungen. Was kann die Sturm-Familie tun, um einem Imageschaden entgegenzuwirken? Das ist eine sehr facettenreiche Frage, die für uns wichtig ist. Wir haben hier klar kommuniziert und entsprechende Maßnahmen gesetzt und sind mit vielen Aktivitäten und Kooperationen gegen Gewalt aufgetreten. Man darf aber auf die positive Entwicklung nicht vergessen: Wenn wir Veranstalter waren, hat es seit vielen Jahren keine Anzeigen im Stadion wegen Körperverletzung gegeben, obwohl gleichzeitig die Gewalt in Österreich zunahm. Immerhin kamen allein im vergangenen Jahr über 300.000 Besucher ins Stadion. Allgemein war der Fußball immer ein gesellschaftliches Spiegelbild, hier sind alle gefordert und wir brauchen dringend eine professionellere Infrastruktur im Stadion. Investitionen in die Sicherheit wurden von der Politik versprochen.

Die Fanklubs bewirken eine großartige Stimmung im Stadion, die der Mannschaft nützt. Aber es gab leider vor und nach dem Derby unschöne Szenen. Die Fanklubs leben und unterstützen Sturm täglich und sind ein wesentlicher Bestandteil unseres Vereines. Für ihr soziales Engagement „Schwoaze helfen“ gibt es viel Anerkennung. Wir setzen klar auf den Dialog mit der Kurve. Sicherheit ist im Stadion ein Anspruch, der erfüllt werden muss. Dem müssen wir alle gerecht werden.

Zum leidigen Stadionthema: Wird Graz ein zweites Stadion bekommen? Um mit dem Positiven zu beginnen: Die Stadt Graz bekennt sich zur Zwei-Stadion-Lösung und will bis Februar den Standort präsentieren. Sturm unterstützt diesen Plan. Leider hat der bisherige Weg sehr lange gedauert und keine finalen Entscheidungen gebracht. Aber ich bleibe optimistisch, wenn es uns manchmal auch nicht leichtfällt. In anderen Landeshauptstädten hat der Fußball einfach einen deutlich höheren politischen Stellenwert.

Was fordern Sie von den politisch Verantwortlichen? Da muss zwischen dem Land Steiermark und der Stadt Graz unterschieden werden. Im Land existiert das Verständnis, dass wir infrastrukturell großen Nachholbedarf haben, sehr wohl. Darum gibt es ein klares Bekenntnis für unser Jugend- und Frauen-Trainingszentrum. Die Stadt tickt politisch völlig anders und manche bespielen gerne Vorurteile zum Fußball in der Hoffnung, Stimmen zu gewinnen. Bei der Mehrheit der Stadtparteien dreht sich das aber gerade. Wir fordern nicht mehr als das, was unseren Konkurrenten in anderen Städten zur Verfügung steht. Bei der großen Wertschöpfung, die Sturm erbringt, ist das auch mehr als gerechtfertigt.

Sturm Graz bemüht sich um das Baurecht im Stadion. Was würde das in der Praxis bedeuten? Genau genommen ist das eine von mehreren Varianten für eine Eigentümerrolle. Derzeit hat die Stadt Graz erklärt, in keine Verhandlungen einzutreten, solange die Standortfrage nicht entschieden ist. Aufgrund der von der Stadt Graz eingeforderten Vertraulichkeitserklärung dürfen wir darüber nichts mehr in der Öffentlichkeit sagen.

Sie werden im März wieder um das Amt des Sturm-Präsidenten kandidieren. Was sind Ihre wichtigsten Ziele für die neue Amtsperiode? Wichtig sind ein tolles Team und Ziele, die eine positive Weiterentwicklung des Vereines sicherstellen. Grundsätzlich stehe ich für Kontinuität. Bis zur Generalversammlung dauert es noch, man weiß ja nie, was passiert, aber sollten die Voraussetzungen stimmen, dann kandidiere ich.

Sturm Graz hatte weiland auch andere Sektionen, beispielsweise Handball. Denken Sie manchmal über eine Reaktivierung nach? Das war bei mir immer eine reizvolle Idee, aber die Umsetzung ist sehr schwierig, weil sofort ökonomische Themen Priorität einnehmen.

Noch ein Blick in die Zukunft: Welche Rolle kann die Gruabn künftig spielen, wenn es nach Ihren Wünschen geht? Ich war heuer zwei Mal bei Meisterschaftsspielen der Sturm Damen und durfte diese einzigartige Atmosphäre der Holztribüne genießen, die von unserer Gruabn-Initiative gerettet wurde. Einerseits ist es Nostalgie, andererseits würden wir gerne weitere Spiele in dieser historischen Kulisse austragen. Die Idee mit den Damen finde ich fantastisch, aber wir müssen den Grazer Sportklub als Pächter respektieren.

Stichwort Sturm Damen: Wie zufrieden sind Sie mit der Performance seit 2011? Wir sind der Pionier im Frauenfußball unter den Bundesligisten. Damals war das noch mutig, für mich ein Herzensprojekt, heute verlangt es die Öffentlichkeit. Wir haben einen Top Job gemacht. Da wir schon häufig Vizemeister wurden und sogar die Champions League-Qualifikation erreicht haben, kommt die Zeit, von einem Titel zu träumen. Dafür brauchen wir ein Trainingszentrum für unsere Frauen.

Sie selbst feiern 2024 ihr 50-jähriges Fanjubiläum. Wie würden Sie einem Außenstehenden des Betriebssystems Fußball diese Passion erklären? Mir wurde als Kind in der Gruabn der Sturm-Geist erklärt. Das war ein Synonym für eine treue und äußerst leidenschaftliche Wertegemeinschaft auf Basis eines Arbeitervereines. Es ging eigentlich mehr als nur um Fußball, mehr als nur um den Erfolg. Ohne diese Passion seiner Anhänger wäre Sturm nicht Sturm. Das ist unser Fundament.

Wo sehen Sie Sturm Graz im Jahr 2034, wenn der Verein sein 125-jähriges Jubiläum feiern wird? Ein Kult, ein steirisches Juwel, ein Teil von dem, was Heimat ausmacht. Mögen die niedergeschriebenen Werte im Leitbild 2034 noch Gültigkeit erleben. Sportlich und wirtschaftlich bei den besten Vereinen in Österreich und mit einer eigenen Heimat, die unsere Identität stärkt.

Wann haben Sie zuletzt ein Match nicht verfolgen können, egal ob
live od. via TV?
In der Meisterschaft kann ich mich nicht mehr erinnern, das muss ewig her sein, im Cup war es gegen Leobendorf, weil ich eine Organsitzung hatte und nur den Liveticker verfolgte.

Sind Sie abergläubisch – tragen Sie bei wichtigen Spielen etwa dieselbe Kleidung oder haben Sie einen Talisman? Irgendein Ritual hat wahrscheinlich jeder von uns. Bei mir spielt der Augarten eine gewisse Rolle. Mein Freund Peter Weinhappl, unser „Sturm-Pfarrer“, hat von Gerhard Roth seinen warmen Mantel vererbt bekommen. Immer wenn er ihn trägt, haben wir nicht verloren. Im Sommer ist das aber problematisch (lacht).

Ist für Sie, wenn Sturm ein Meisterschaftsspiel verliert, das Wochenende getrübt oder können Sie das gut trennen? Es ist eine äußerst schlechte Eigenschaft von mir, dass ich das schlecht trennen kann. Deshalb halten alle in der Bank immer zu Sturm, dann geht es deutlich leichter mit mir.

Mir wurde als Kind in der Gruabn der Sturm-Geist erklärt.“

Christian Jauk

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